Mit spitzer Feder …

«Stille ist eine Quelle der grossen Stärke», das wusste 6. Jh.v.Chr. bereits der chinesische Philosoph Lao Tse. Stille kann sich wie Ferien anfühlen – für mich jedenfalls. Es ist gerade Sommer, die Menschen halten sich viel im Freien auf, feiern Partys, hören OpenAir-Konzerte, frönen der Sonne und Natur, grillieren auf dem Balkon, etc. – und alle sind sie fröhlich, gesprächig, und in meinen Ohren sehr laut. Ich gehöre zu denjenigen Menschen, die es gerne ruhig mögen – immer, im Sommer und im Winter. Stille ist wichtig für mich, sie ist Teil unseres Lebens. Stille zeigt uns das, was gerade da ist. Stille bringt Geist, Seele und Körper in die Balance und sie zwingt mich, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Stille reguliert mein Nervensystem. Es gibt für mich nichts Schöneres, als in diesen Hitzetagen auf einem Bänkchen zu sitzen unter dem grünen Blätterdach eines Baumes und den Geräuschen der Natur zu lauschen. Die Stille ist aber nicht nur ein Hören, sondern auch ein Spüren, ein Riechen und ein Sehen: Die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, der Windhauch an meinem Hals, der herbe Duft der Sommerpflanzen. Alle Sinne sind dabei aktiviert. Es ist wunderbar, einfach zu sein, die Seele baumeln zu lassen, sich an diesem Sommertag und seiner ganzen Pracht zu erfüllen und die Gedanken frei tanzen zu lassen. Ich liebe das. Es befreit und macht mich glücklich. Ein bedingungsloses Glück, das an nichts gebunden ist, ein Glück verbunden mit tiefer Dankbarkeit für mein Leben und Demut für die Welt, ihren Kosmos und ihre Geschöpfe. Dieses Gefühl erfüllt mich und gibt mir eine grosse Zufriedenheit – ich bin dann im Reinen mit mir. Was will ich noch mehr? Solche Momente unter dem freien Himmel gehören zu meinen liebsten und zauberhaftesten Sommererlebnissen. So entfliehe ich dem sommerlichen Lärm.
Gelegenheiten für Stille gäbe es in unserem Alltag viele. Ich komme nach einem langen Arbeitstag nach Hause und sehne mich nach Ruhe: Keine Rufe aus allen Ecken, keine Anrufe, kein piepsendes Natel, kein Hintergrundgedudel, keine nervige Lärmquelle – einfach Stille. Mein Ritual ist nach dem Heimkommen: Zuerst mich hinlegen und einfach ein paar Minuten nur atmen – ein und aus, ein und aus… und dann in Ruhe essen, lesen, oder Collagen kreieren – alles in der Ruhe, ohne irgendwelches unnötiges Gedudel im Hintergrund.
Einfach nur den eigenen Gedanken zu folgen, Tag zu träumen, die Wolken beim Ziehen beobachten. Das ist herausfordernder, als es sich anhört. Viele Menschen sind damit überfordert. Sie erleben es als schwierig, mit und in der Stille zu leben. Sie verlangt ihnen sehr viel ab. In Ruhe werden sie zappelig, das Gehirn sucht nach Ablenkung und Kicks. Lieber bleiben sie im Beschäftigungs-Impuls, zücken zum x-ten Mal das Natel oder stopfen sich ihre weissen Knöpfe in die Ohren, um permanent berieselt zu werden und malträtieren damit ihre Zirbeldrüse. Selbst wenn wir mit jemandem sprechen, versuchen wir jede Sekunde mit Worten zu füllen, weil Pausen schwer auszuhalten sind. Wir erleben es als schwierig, mit und in der Stille zu leben. Sie verlangt uns sehr viel ab. So gross die Sehnsucht nach Stille und Ruhe ist – so sehr haben wir es verlernt, die leisen Momente wahrzunehmen und zu geniessen. Dabei helfen gerade diese, uns und unser Nervensystem herunterzufahren. So können wir durchatmen und bei uns ankommen. Mit jedem Moment Stille beruhigt sich der Atem, die Muskeln entspannen sich, die Seele wird durchlüftet. Ausserdem schaffen Pausen Räume. Der Raum zwischen zwei Gedanken wäre so oft nötig, um überlegter zu handeln. In der Stille werden wir bewusster und achtsamer im Tun. «Nur im ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne», heisst es in einem chinesischen Sprichwort. Stille schafft Klarheit.
Momente des Innehaltens können wir täglich schaffen, das liegt ausschliesslich an uns selbst. Dann aber sind sie eine wahre Erholungsoase. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen liebe Leserinnen und Leser, viele stille Momente nur für sich selbst – Sie werden ihr stilles Wunder erleben!
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin






